Theologie und Glaube Ausgabe 1/2024

Theologie und Glaube

Jahrgang 114
Ausgabe 1/2024

Thema: Neue Perspektiven auf das lukanische Doppelwerk

hg. von Daniel Lanzinger

Das erste Heft des Jahrgangs 114 ist dem lukanischen Doppelwerk gewidmet und reiht sich damit, wie Herausgeber Prof. Dr. Daniel Lanzinger im Editorial anmerkt, in eine „Paderborner Tradition“ ein: Viele frühere Inhaber und die vorherige Inhaberin des Lehrstuhls für Neues Testament an der Theologischen Fakultät Paderborn haben sich ebenfalls schwerpunktmäßig mit dem Evangelisten Lukas beschäftigt. Die Beiträge der Ausgabe beleuchten das Doppelwerk, also das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte, aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dabei geht es immer darum, den biblischen Text anschlussfähig für die heutige Lebenswelt der Menschen zu machen. So vergleicht Prof. Dr. Andrea Taschl-Erber das Frauenbild und Geschlechterrollen im Lukas- und Johannesevangelium, um die Sozialgefüge der Entstehungszeit greifbar zu machen. Prof. Dr. Daniel Lanzinger schaut in seinem Beitrag darauf, wie Lukas die Kommunikation zwischen narrativer Textwelt und der Lebenswelt der Leser(innen) in der Apostelgeschichte gestaltet hat.

Natürlich werden auch aktuelle Forschungstrends in der exegetischen Analyse aufgegriffen. Alttestamentler Prof. Dr. Michael Konkel stellt beispielsweise eine Interpretationsvariante vor, die den Umgang der Evangelisten mit Zitaten aus dem Alten Testament nicht als antijudaistische Zensur beurteilt. Damit grenzt er sich entschieden von Ansätzen mit markionitischen Zügen ab, die in der Forschung immer wieder begegnen.

 

Markionismus stellt insbesondere in Zeiten eines in der Gesellschaft wieder aufflammenden Antisemitismus eine theologische Herausforderung dar. Es gilt, im Rahmen des Theologiestudiums den Studierenden eine Schrifthermeneutik zu vermitteln, welche nicht in die Falle eines latenten, subtilen Markionismus tappt. Ein Einfallstor für einen solchen Markionismus ist die Interpretation von Auslassungen bei Zitaten aus dem Alten Testament innerhalb des Neuen Testaments. Solche Auslassungen werden gern als Zensur vermeintlich theologisch anstößiger Passagen des Alten Testaments gewertet. Am Beispiel des Jesajazitats in Lk 4,18f. wird aufgezeigt, wie ein subtiler Markionismus nicht nur in älteren, sondern auch in jüngsten Auslegungen des Textes zu finden ist. Es wird sodann eine alternative Interpretation vorgelegt, welche die Untiefen des Markionismus zu umschiffen versucht. 

Markionism represents a theological challenge, especially in times of a resurging anti-Semitism within society. Within the framework of theological studies, students must be taught scriptural hermeneutics which do not fall into the trap of a latent, subtle Markionism. A gateway for such Markionism is the interpretation of omissions in quotations from the Old Testament within the New Testament. Such omissions are often interpreted as censorship of supposedly theologically objectionable Old Testament passages. Using the example of Lk 4:18f. quoting Isaiah, this article shows how a subtle Markionism can be found not only in earlier but also in recent interpretations of the text. An alternative interpretation is then presented which attempts to circumnavigate the shoals of Markionism.

Seite 14–29

Während das Lukasevangelium mit dem „Betriebssystem“ Gottesherrschaft 1.0 arbeitet und die Basileiakonzeption christozentrisch fundiert, kommt in der Apostelgeschichte Version 2.0 zum Einsatz. Diese Version trägt der veränderten personalen Situation nach Ostern Rechnung und transformiert die Bindung der Gottesherrschaft an Jesus in die lukanische Gegenwart; ein Update auf eine Version 3.0 ist für Lukas aktuell nicht erforderlich. Bei der Transformation spielen räumliche und personelle Entgrenzungen eine zentrale Rolle: Lukas nähert Himmel und Erde einander an und nimmt die Menschen in der Jesusnachfolge in die Verantwortung für die nachösterliche Gestaltwerdung der Gottesherrschaft. 

While the Gospel of Luke uses the “operating system” Kingdom of God 1.0 and bases the whole concept christocentrically, version 2.0 is employed in the Acts of the Apostles. This version considers the modified personal situation after Easter and transforms the binding of God’s kingdom to Jesus into Luke’s days. An update to a version 3.0 is currently not necessary for Luke. Spatial and personal delimitations play a central role: Luke brings heaven and earth closer together in his narrative and makes the disciples of Jesus co-responsible for the post-Easter shaping of God’s kingdom.

Seite 30–59

Im dritten und vierten Evangelium erhalten Frauenfiguren mehr erzählerische Präsenz und Stimme als in den ersten beiden. Im redaktionskritischen Vergleich von Lk und Joh zeigen sich allerdings unterschiedliche Akzentsetzungen in Bezug auf Traditionen mit Frauen als zentralen Akteurinnen. Werfen die jeweils präsentierten Rollenmodelle Licht auf unterschiedliche Perspektiven in frühchristlichen Diskussionsprozessen zur Partizipation von Frauen an leitenden Funktionen? 

In the Third and Fourth Gospel, female characters are given more narrative presence and voice than in the first two. However, a redaction-critical comparison of Luke and John reveals different emphases on traditions with women as central actors. Do the role models presented in each case shed light on different perspectives in early Christian discussion processes on women’s participation in leadership roles? 

Seite 60–74

In Apg 4,36 verkauft ein Levit entgegen der Vorgabe aus Lev 25,34 seinen Acker. Diese Notiz lässt sich einordnen in eine Reihe von Bezugnahmen der Apostelgeschichte auf die Landverteilung und den levitischen Sonderstatus. Mit diesen Rekursen verschob der Evangelist eine Israel-Konzeption, die sich vorwiegend an den zwölf Stämmen und deren Land orientierte, hin zu einem Verständnis, dem zufolge auch die Paganen Anteil an der Verheißung erhielten. 

In Acts 4:36, a Levite sells his field in spite of the guideline in Lev 25:34. This note can be classed with a range of references of Acts to the distribution of land and the special status of the Levites. In this manner, the evangelist shifted an idea of Israel based on the twelve tribes and their land to a conception that involved the pagans with regard to the promise. 

Seite 75–90

In der Apostelgeschichte mischen sich regelmäßig Figuren aus der göttlichen Sphäre in die Menschenwelt ein. Anhand der drei letzten dieser Interventionen lässt sich jedoch zeigen, dass der Verfasser den Übergang zur Lebenswirklichkeit der Rezipierenden mit Bedacht gestaltet hat: Die Interventionen werden seltener, sie verlieren inhaltlich an Konkretheit und erzähltechnisch an Unmittelbarkeit. Die Ermittlung des Gotteswillens bleibt am Ende eine Aufgabe der menschlichen Interpretation. 

In the Acts of the Apostles, characters from the divine sphere regularly interact with human beings. An examination of the last three of these interventions, however, shows that the author carefully bridges the gap between the narrated world and the world of his audience: interventions become less frequent, their content is less specific, and they are narrated in a more distant way. Discovering God’s will is ultimately a matter of human interpretation. 

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