Unter dem Titel „Von der Schwere des Glücks“ gestalteten Volker Weidermann, Aeham Ahmad und Sebastian Blomberg einen Abend, der die Zuschauenden in das Schicksal der vor den Nationalsozialisten nach Ostende geflohenen Künstlerinnen und Künstlern mitnahm und das Werk eines eben dieser Literaten in den Mittelpunkt stellte. Das gesprochene Wort übersetzte bzw. kommentiert Aeham Ahmad mit seinen emotionalen Klavierkompositionen.
Im ersten Teil des Abends ließ Volker Weidermann das Publikum mit seinem Roman „Ostende“ Teil einer Exilgemeinschaft von Schriftstellern wie Stefan Zweig, Joseph Roth und Irmgard Keun im Sommer 1936 werden. Er beschrieb ihr von Verzweiflung und Wut über die eigene Machtlosigkeit getriebenes Anfeiern in der belgischen Hafenstadt, die intensive Liebesbeziehung zwischen Joseph Roth und Irmgard Keun und die Fürsorge Stefan Zweigs für seinen Freund Roth. Volker Weidermanns Roman besticht durch die sorgfältig recherchierten Episoden und die liebevolle Nähe des Autors zu seinen Protagonisten. Dem Korrespondenten der Zeit und Zeit online, deren Feuilletonchef er bis Anfang 2024 war, gelang eine berührende und eindrückliche Lesung.
Der palästinensisch-syrische Pianist Aeham Ahmad, auch bekannt als der „Pianist aus den Trümmern von Damaskus“, verband in seinen Kompositionen jüdische, christliche und islamische Musik in virtuosen Kompositionen. Mit dem einleitenden „Dawn“ versetzte er das Publikum in eine leicht euphorische Aufbruchstimmung, mit einer Improvisation zu „Die Gedanken sind frei“ setzte er ein kleines Hoffnungszeichen für die Literaten in Ostende.
Im zweiten Teil stand mit Joseph Roths 1930 erschienenem Roman „Hiob“ ein sprachlich dichtes und emotional forderndes Werk auf dem Programm. Sebastian Blomberg erzählte in fast neunzig Minuten die wechselvolle Geschichte des frommen Juden Mendel Singer und seiner Familie im russischen Dorf Zuchnow zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Armut, das Leben mit einem kranken Sohn, der Abschied von den beiden anderen Söhnen, die in den Krieg oder nach Amerika aufbrachen, und die Liebelei der Tochter mit einem Kosaken, die Singer und seine Frau nach Amerika führen und das kranke Kind in Russland zurücklassen – Sebastian Blomberg läßt die Figuren in ihrer düsteren, engen Welt mit seiner wandlungsfähigen, markanten Stimme lebendig werden und zog das Publikum in den Bann dieser dichten Geschichte. Aeham Ahmad beschloss den Abend mit einer Improvisation über den Abschlusschor aus Beethovens neunten Sinfonie. Das Publikum dankte mit viel Beifall. Die Theologische Fakultät bedankt sich, die dritte Station der „Wege durch das Land“ gewesen sein zu dürfen.
Das Festival „Wege durch das Land“ widmet sich unter dem Titel „Das Heim ist fort, das Weh, es bleibt“ – angelehnt an das vermutlich 1938 verfasste Gedicht „Heimweh, wonach?“ von Mascha Kaliko – den Themen Entwurzelung und Verlust von Heimat. Intendant Stephan Szász und sein Team bringen vom 4. Mai bis zum 12. Juli 2024 Musik, Literatur und Menschen an ungewöhnliche Orte in Ostwestfalen-Lippe und gehen den Fragen nach, was es für Menschen bedeutet, ihr Zuhause, ihren Halt zu verlieren und in der Fremde eine neue Heimat finden zu müssen. Das komplette Programm finden Sie hier.