Im neuen Themenheft von „Theologie und Glaube“ beschäftigen sich Prof. Dr. Dr. Martin Breul, Professor für Systematische Theologie an der TU Dortmund, und Dr. Anne Weber, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, als Herausgebende mit der Frage, wie Religion der Demokratie heute noch von Nutzen sein kann. Angesichts gravierender gesellschaftlicher Probleme werden Demokratien immer stärker kritisiert, keine ausreichenden Strukturen mehr zum produktiven Diskurs zu bieten angesichts von Digitalisierung, Rechtsruck und Radikalisierung. Welche Rolle die Digitalisierung dabei konkret spielt und wo religiöse Praktiken helfen können – damit beschäftigen sich die sechs Beiträge, bereichert durch zwei große Interviews. Das Themenheft kann wie gewohnt als Print-Ausgabe erworben oder kostenfrei digital gelesen werden: .
Christiane Woopen, ehemalige Vorsitzende des deutschen Ethikrates, erklärt im Interview, dass „autonome Systeme“ nie ganz frei von menschlichem Einfluss sein können und macht deutlich, wie wichtig Freiheit für die Demokratie der Zukunft ist: „Bei aller Unterschiedlichkeit von Lebensentwürfen, Glaubensrichtungen, Weltanschauungen und politischen Strömungen muss das gemeinsame Band, das durch all diese Vielfalt geht, die Überzeugung von dem Wert der Freiheit für alle sein. Nur dann gelingt Demokratie und solidarisches Leben in Freiheit.“ Der Theologie spricht sie die Aufgabe zu, der demokratischen Gesellschaft Angebote für Austausch, Zuversicht und Vertrauen zu machen – auch den Menschen, die nicht aktiv der religiösen Gemeinschaft angehören.
Christiane Woopen zur Freiheit im Christentum:„Gott [hat] dem Menschen, bestärkt in Jesus, die Zusage seiner umfassenden und bedingungslosen Liebe geschenkt, selbst wenn er sich für das Böse entscheidet. Das ist radikale Freiheit – radikal im Sinne von „Radix“, an die Wurzel gehend. Was könnte einen freier machen als bedingungslos geliebt zu werden? Freier geht es doch gar nicht!“
Otfried Höffe, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und zweiter Interviewpartner im Heft, kann angesichts der Unsicherheiten zur Zukunft der Demokratie beruhigen: „Weder die Demokratie noch die westliche Zivilisation müssen sich den Glauben an ihre Zukunftsfähigkeit wegdiskutieren lassen“. Bevor er den Religionen einen praktischen Nutzen für die Demokratie attestiert, weist er darauf hin, dass Religionsgesellschaften sich zu ethischen Themen auch uneins sein können und damit Konfliktpotenzial bieten. Dennoch sei der wertvolle Beitrag von Religion für die Kultur und das Miteinander der Menschen nicht zu unterschätzen. Höffe sieht die Stärken der Religion nicht exklusiv im politischen Bereich, sondern vielmehr noch in der gesellschaftlichen Rolle von Religionsgemeinschaften als Ort der Gemeinschaft.
Von der Politischen Theologie ist er weniger überzeugt: „Religionen haben die Fähigkeit Trost zu spenden, Menschen auch in schwierigen Lebenslagen beizustehen, diejenigen nicht alleine zu lassen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder einsam sind. All diese Dinge, die sich im weitesten Sinne mit gelebten Religionen in Verbindung bringen lassen, sind für das öffentliche Zusammenleben unverzichtbar und entfalten möglicherweise sogar eine von Ihnen angesprochene transformative Kraft.“
Otfried Höffe zur Digitalisierung: „Die Erfindung des Feuers hat nicht dazu geführt, dass das Feuer verboten wurde, sondern dass Feuerwehren geschaffen wurden.“
Martin Breul und Anne Weber möchten mit dem Heft „Verbesserungsimpulse für die Demokratie ermitteln“. Dazu werden in den interdisziplinären Beiträgen Probleme der heutigen Demokratien gesammelt, vor allem vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und den Auswirkungen für die Religiosität der Gesellschaft.