„Der Konflikt um die Ukraine wird eine schwärende Wunde bleiben“

Dr. Marco Schrage vom Institut für Theologie und Frieden Hamburg ordnete den Ukrainekonflikt anhand wissenschaftlicher Kriterien ein

In seinem Vortrag „Der internationale bewaffnete Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Friedens- und konfliktethische Reflexionen“ nahm der Friedensethiker Dr. Marco Schrage von Institut für Theologie und Frieden Hamburg eine akkurate wissenschaftliche Analyse der Argumente und Handlungen beider Seiten des Konflikts vor, um die Hörerinnen und Hörer im Audimax der Theologischen Fakultät in ihrer eigenen Beurteilung des Konflikts zu unterstützen. Seine Quintessenz am Ende der grundlegenden und detaillierten Analyse lautete, dass die Ukrainekrise wahrscheinlich nicht beendet werden wird, sondern Russland einen Teil der Ukraine einnehmen und dann den Konflikt – wie 2014 – einfrieren wird. „Die Situation wird nicht bereinigt, sondern eine schwärende Wunde in Europa bleiben“, schlussfolgert Friedensforscher Dr. Marco Schrage: „Die Antwort auf die künftig drängend bleibende ethische Frage nach dem Umfang der gebotenen Hilfen für die Ukraine kann nur lauten, dass man genau bedenken muss, was die Situation nicht noch verschlimmert.“ 

Um eine eigene Einschätzung als informierte Bürgerin bzw. informierter Bürger fundiert vornehmen zu können sezierte Dr. Marco Schrage den Konflikt im Rahmen seines Vortrags unter drei Aspekten: Erstens behandelte er zentrale Prinzipien, unter denen Ansprüche, die aufgrund historischen Unrechts geltend gemacht werden, zu beurteilen sind. Zweitens überprüfte er mit Hilfe der Konzepte der Verteidigung, des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung selbstbestimmungsfähiger Gruppen bzw. gegen extreme Tyrannei – Völkermord, ethnische Säuberung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – sowie der Intervention Dritter mit und ohne UN-Mandat die jetzige Lage in der Ukraine. Auf dieser Grundlage zeigte er in einem dritten Schritt anhand von sechs Kriterien, welche Erwägungen sich aus diesen Befunden ergeben könnten und wie man diese begründen kann. Hier spielten die zuständige Autorität, der gerechte Grund als Schwellenkriterium, die rechte Absicht, das Erschöpfen bzw. die Aussichtslosigkeit friedlicher Mittel (insb. von Sanktionen), die Suffizienz (das mildeste sicherste militärische Mittel) und die Verhältnismäßigkeit eine Rolle. Die Abwägung zwischen dem Handeln durch Tun oder dem Handeln durch Unterlassen führte zu der Frage, wie stark man die Ukraine unterstützen darf bevor die Gesamtsituation dadurch verschlimmert wird und zur globalen Destabilisierung führt.

Die sich dem Vortrag anschließende lebhafte Diskussion mit dem Publikum wurde von Prof. Dr. Peter Schallenberg, Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn, moderiert. Neben Fragen nach möglichen Entwicklungsszenarien des Konflikts in den nächsten Jahren und seiner Bedeutung für die europäische Sicherheitsarchitektur standen Probleme grundsätzlicher Natur im Mittelpunkt der Diskussion. So bot der in jüngster Zeit wieder viel zitierte Berliner Appell „Frieden schaffen ohne Waffen“ von 1982 Anlass zum Nachdenken über Kriegspazifismus und Waffenlieferungen. Das Gebot der Stunde, so Dr. Schrage, sei dabei nicht das Ausschließen militärischer Mittel jeglicher Art, sondern eine sorgsame Prüfung der Absichten und der inneren Haltungen. Gebraucht werden „Pazifisten im Herzen“, die den Einsatz militärischer Mittel nicht prinzipiell ablehnen, ihn aber auch nur unter der Maßgabe strengster ethischer Kriterien gutheißen.

Dr. Marco Schrage, Priester des Bistums Osnabrück, ist seit 2018 Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg. Im Fokus seiner Arbeiten stehen Grundfragen der Friedens- und Konfliktethik aus theologisch-ethischer Perspektive sowie die auswärtige EU-Sicherheitspolitik. Dr. Schrage absolvierte sein Erststudium der Rechtswissenschaft und Italianistik in Tübingen, Rom und Hamburg; danach studierte er Philosophie und Theologie in Frankfurt/M. und Rom. Dort erfolgte auch seine Promotion zum Thema „Intervention in Libyen. Eine Bewertung der multilateralen militärischen Intervention zu humanitären Zwecken aus Sicht katholischer Friedensethik“. Vor seinem Einstieg am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg war er als Kaplan in Lingen/Ems und als Militärpfarrer an der Unteroffizierschule der Luftwaffe tätig.

Das Institut für Theologie und Frieden (ithf) in Hamburg ist eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung der Katholischen Kirche in Trägerschaft der Katholischen Militärseelsorge zum Zweck der ethischen Auseinandersetzung mit Fragen des Friedens und der Friedensgefährdungen und berät die Katholische Kirche in friedensethischen Fragen.

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