„Ich habe es nicht versäumt, euch den ganzen Ratschluss Gottes mitzuteilen“ (Apg 20,27): Das behauptet Paulus im Rahmen seiner Abschiedsrede in Milet. Auch sonst ist in den beiden lukanischen Schriften des Öfteren vom „Ratschluss“ (βουλή) oder vom „Vorauswissen“ (πρόγνωσις) Gottes die Rede (vgl. Lk 7,30; Apg 2,23; 4,28; 5,38; 13,36). Es hat daher eine sachliche Berechtigung, dass die Forschung Lukas eine „Theologie der Vorsehung“ attestiert.
Für ein angemessenes Verständnis dessen, was Lukas „Ratschluss“ und die Forschung meist „Vorsehung“ nennt, ist jedoch entscheidend, dass Lukas vor allem ein erzählender Theologe ist: Worin der ganze Ratschluss Gottes inhaltlich bestehen soll, erklärt Lukas seinen Leserinnen und Lesern an keiner Stelle im Klartext. Vielmehr räumt er ihnen einen Interpretationsspielraum ein und setzt auf ihre kognitive Mitarbeit. Was Gott für Jesus und die ihm Nachfolgenden vorsieht und wie dieser göttliche Plan aus menschlicher Sicht ermittelt und umgesetzt werden kann, kann daher nicht allein an einer bestimmten Semantik festgemacht werden. Das erste Teilziel des Projekts besteht deshalb darin herauszuarbeiten, wie Lukas als Erzähler das Motiv vom „Ratschluss“ Gottes narrativ entfaltet. Hierbei kommen Methoden der Erzähltextanalyse zum Einsatz. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der Erzähltechnik der diskrepanten Informiertheit: Durch einen vom Erzähler arrangierten Wissens- und Verstehensvorsprung der Rezipierenden gegenüber den Erzählfiguren kommt es zur Erzeugung neuer und für die lukanische Theologie entscheidender Bedeutungsaspekte, die es herauszuarbeiten gilt.
Ein zweites Teilziel besteht darin, dem lukanischen Konzept vom göttlichen Ratschluss durch einen religionsgeschichtlichen Vergleich schärfere Konturen zu verleihen. Dazu sollen exemplarische Vertreter verschiedener narrativer Gattungen (Geschichtsschreibung, Roman, Epos) herangezogen werden, die mit dem Konzept einer göttlichen Lenkung der Geschichte arbeiten.