Gott ist Mensch geworden – das ist der Kernsatz des christlichen Glaubens. Das heißt präzise: Gott wird nicht nur gedacht, sondern offenbart sich selbst in seinem Sohn Jesus Christus. Und er offenbart damit sein Wesen, sich selbst als Person, als Liebe. „Gott ist die Liebe“, schreibt daher kurz und knapp der Evangelist Johannes. Und wenn Gott die Liebe ist und der Mensch sein Ebenbild, dann ist es die lebenslange Aufgabe des Menschen, solche göttliche Liebe im eigenen menschlichen Leben zur Entfaltung zu bringen. Aus solchem Nachdenken über Wege und Möglichkeiten der größeren Liebe, der Nächsten- und Fernstenliebe erwächst die Moraltheologie. Sie ist eines der theologischen Fächer im Studium, aber in Wirklichkeit ist sie viel mehr: Nachdenken und Nachvollzug der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, Vorschau auf bisher ungeahnte Möglichkeiten des eigenen Lebens und schließlich auch Hilfe in vielfältigen Konfliktfällen alltäglicher Entscheidungen. Der hl. Thomas von Aquin unterstreicht: Das erste Prinzip der Moral ist der Satz „Das Gute ist zu tun, das Böse zu lassen!“
Gott findet sich im Prinzip – der Teufel steckt im Detail! Denn: Was genau ist das Gute und wie ist es umsetzbar? Dazu will die katholische Moraltheologie eine Hilfe geben. Wer über Gott und seine Gutheit nachdenkt, gelangt an kein Ende. Ein Leben reicht nicht aus, um die Liebe Gottes nachzuvollziehen und im eigenen Leben Wirklichkeit werden zu lassen. Und mit jedem Menschen wird gleichsam das moralische Rad neu erfunden, denn jeder Mensch und jedes Leben ist anders: So wie ich hat noch keiner gelebt – und gerade hier und jetzt soll Gottes Liebe sichtbar werden. Das ist mühevoll – aber jede Mühe wert!
aus: Schallenberg, Peter: Gott, das Gute und der Mensch. Grundlagen katholischer Moraltheologie, Paderborn 2009.