Geschichte des Lehrstuhls für Pastoraltheologie, Homiletik, Religionspädagogik und Katechetik

Im Jahr 1614 wurde die heutige Theologische Fakultät Paderborn von Fürstbischof Dietrich IV. von Fürstenberg als eine von Jesuiten geführte Universität mit Philosophischer und Theologischer Fakultät gegründet. In ihrem seitherigen Bestehen erlebte sie – bedingt u. a. durch Aufhebung des Jesuitenordens, Säkularisation, Kulturkampf, Kriege – eine höchst wechsel-volle Geschichte, die sich speziell in der Geschichte des Lehrstuhls widerspiegelt.

Die Institutionalisierung der Pastoraltheologie als wissenschaftliche, an Universitäten gelehrte Disziplin verdankt sich bekanntlich der von der österreichischen Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn bzw. Nachfolger Joseph II. betriebenen Studienreform. In deren Rahmen hatte der Benediktinerabt Franz Stephan Rautenstrauch (1734-1785) im Auftrag der Kaiserin einen „Entwurf einer besseren Einrichtung theologischer Schulen“ erarbeitet, der dem Zweck diente, das Studium der Theologie den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Dieser Studienplan, der im Jahr 1774 als Bestandteil der „Verfassung der theologischen Facultät“ in Wien beschlossen wurde, wies zum ersten Mal die Pastoraltheologie als ordentliches Hauptfach der Theologie aus und begründete damit deren Status als eigenständige universitäre Disziplin. Sie gehörte der praktischen Phase im fünften Jahr des Studiums an, deren Lehrveranstaltungen erstmals im Jahr 1777 zur Durchführung kamen. Deshalb gilt 1777 gemeinhin als Geburtsjahr der universitär verfassten Pastoraltheologie. Franz Stephan Rautenstrauch verfolgte mit der Reform das Ziel, die theologische Wissenschaft und Ausbildung insgesamt an den Erfordernissen der praktischen Seelsorgetätigkeit auszurichten. Deshalb verwundert es nicht, dass er selber, wiewohl in seiner Rolle als Direktor der Wiener theologischen Fakultät für die gesamte Theologie zuständig, im Jahr 1778 mit seinem „Tabellarischen Grundriß der in deutscher Sprache vorzutragenden Pastoraltheologie“ ein erstes inhaltliches Konzept zu dieser neu formierten Wissenschaft vorlegte. In den unmittelbar darauf folgenden Jahren und Jahrzehnten kam es zur Veröffentlichung einer Vielzahl an pastoraltheologischen Lehrbüchern, die überwiegend dazu bestimmt waren, als Text für die buchstäblich verstandene Vor-Lesung in diesem Fach zu dienen.

Es sticht ins Auge, dass die Vorgänge um die Einrichtung der Pastoraltheologie als universitäre Disziplin wie auch deren einschlägige Lehrbücher wie auch deren namhafte Vertreter in dieser Pionierzeit (z.B. Franz Stephan Rautenstrauch, Michael Sailer, Anton Graf) allesamt im süddeutsch-österreichischen Raum angesiedelt waren. Für den mittel- und norddeutschen Raum lassen sich zu dieser Zeit keine solchen manifesten Erscheinungsformen einer wissenschaftlich konturierten Pastoraltheologie feststellen. Dennoch ist es wohl der geistesgeschichtliche Kontext am Ende des 18. Jahrhunderts, durch den sich auch die Einrichtung eines ersten Lehrstuhls für Pastoraltheologie und Homiletik an der hiesigen Hochschule ein Stück weit erklären lässt. Ihm war allerdings nur kurzer Bestand – von 1807 bis 1843 – beschieden. Als einziger Inhaber dieser Professur fungierte Martin Bernhard Nacke, der sie offenbar neben seinen anderen Aufgaben als Subpräses bzw. Präses des Priesterseminars und als Domkapitular ausübte.

Alsbald schlug der jungen Disziplin Pastoraltheologie aber der scharfe Wind des Verdachts entgegen, ihre Vertreter seien aufklärerisch ambitioniert und würden die Interessen der Kirche an einem kirchlich gesinnten Klerus den Interessen des Staates an einem staatlich dienstbaren Klerus unterordnen. Einschlägig interessierte Kräfte aus Theologie und Kirche, speziell auch Vertreter des Faches selbst, waren bestrebt, der Pastoraltheologie diesen Charakter eines Hortes der aufklärerischen Verselbständigung von Klerikern und Gläubigen zu nehmen. Ein probates Mittel hierfür sahen sie darin, der Pastoraltheologie den gerade erworbenen Status einer universitären Wissenschaft abzusprechen und den von ihr erhobenen Anspruch der wissenschaftlich profilierten Lehre als für die Kirche schädlich zu diskreditieren. Durch eine betonte Propagierung des Seminars als des vornehmlichen Ortes der Berufsvorbereitung für Priester und durch die Umformung der Pastoraltheologie zu einer an diesen Seminaren zu leistenden Berufsanleitung sollte das Fach unter kirchenamtliche Kuratel gestellt werden. Auch an der „Bischöflichen philosophisch-theologischen Lehranstalt“ (so der damalige Name unserer Hochschule) brachte die Neuordnung des Studiums von 1844 einen entsprechenden „Rückbau“ mit sich. Sie sah für die Fächer Pastoraltheologie und Homiletik offensichtlich keinen eigenen Lehrstuhl bzw. Professor mehr vor. Zwar weisen die Studienordnungen von 1844 und 1858 jeweils eine bestimmte Anzahl von Stunden aus, in denen die praktisch-theologischen Fächer Pastoraltheologie, Homiletik und Liturgik zu unterrichten waren. Da dieser Lehranteil jedoch überwiegend in den Händen der jeweiligen Leitungspersonen des Priesterseminars lag und somit in Gestalt einer „Pastorallehre“, d.h. einer pragmatischen Einweisung in die pastoralen Tätigkeiten, in die Zuständigkeit des Priesterseminars verwiesen wurde, war damit implizit der Status der „praktischen“ Fächer als akademische, wissenschaftlich zu betreibende Disziplinen negiert. Sehr lange Zeit – bis 1966 – sollte es dauern, bis der Begriff „Pastoraltheologie“ in der Nomenklatur der an der Theologischen Fakultät Paderborn vertretenen Fächer wieder auftaucht.

Anhand der anderen am Lehrstuhl angesiedelten Disziplinen – Homiletik, Religionspädagogik/Katechetik und Caritaswissenschaft – lassen sich Spuren der geschichtlichen Entwicklung des Lehrstuhls auch in dieser Zeit der „pastoraltheologischen Brache“ ausfindig machen. Mit der erwähnten Neuordnung des Studiums von 1844 wurde die Pädagogik in den Fächerkanon aufgenommen; von da an bis zur vom Kulturkampf bedingten Schließung der Lehranstalt am 1. Oktober 1873 führte die Hochschule nämlich das Fach „Moral und Pädagogik“ in ihrem Bestand. Vertreten wurde es von den Professoren Georg Johannes Rodehuth (1843-1864), Heinrich Franz Josef Ruland (1864-1872) und Johannes Eberhard Backhaus (1872-1876).

Mehrmals in ihrer Geschichte geriet unsere Hochschule durch Maßnahmen der weltlichen Obrigkeit in Bedrängnis. Nach der vom König von Preußen 1818 verfügten, jedoch im Jahr 1836 wieder zurückgenommen Aufhebung brachten sie die Verwerfungen des Kulturkampfes erneut in eine prekäre Lage: Im Jahr 1873 wurde sie polizeilich geschlossen. Am 1. April 1887 konnte sie als „Bischöfliche philosophisch-theologische Lehranstalt“ wiedereröffnet werden. In diesem Zusammenhang fällt aus der Perspektive der praktischen Disziplinen eine irritierende Entscheidung auf: Die damals im Rahmen der neuen Statuten vorgenommene Ordnung der Lehrstühle sah keine einzige der im heutigen Lehrstuhl annoncierten Disziplinen vor. Auch die früher mit der Moraltheologie gekoppelte Pädagogik fiel heraus. Offenbar stellte sich aber mit der Zeit der Bedarf an einer Korrektur dieses „Praxis-Defizits“ ein.

Im Jahr 1910 kam es zur Installation einer Dozentur für „Soziale Frage“, die in manchen Quellen ab 1914 als „Dozentur für Caritaskunde“ geführt wird. Ihr Inhaber war Wilhelm Liese (1910-1919), der nachmalige Schriftleiter der Zeitschrift „Caritas“ (ab 1920) und Autor der bekannten zweibändigen „Geschichte der Caritas“ (Freiburg i.Br. 1922). Noch in seiner Paderborner Zeit erstellte Liese für Lorenz Werthmann, den Gründer und ersten Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, im Jahr 1919 die Denkschrift „Die Vorbildung der Theologen für die großen Caritasaufgaben der Gegenwart“. Diese wurde an alle Bischöfe, Ordinariate, Theologischen Fakultäten und Priesterseminare verschickt sowie in der Bischofskonferenz behandelt. Sie dürfte somit einen wichtigen Impuls für jene Entwicklung gegeben haben, die Franz Keller, der erste Direktor des „Caritaswissenschaftlichen Instituts“ in Freiburg i. Br., meint, wenn er im Jahr 1925 resümiert, „dass jetzt ziemlich an allen theologischen Fakultäten des Deutschen Reiches die Caritaswissenschaft zum Pflichtfach für die Studierenden erhoben worden ist“ (Keller, Franz: Caritaswissenschaft, Freiburg i.Br. 1925, VII.). Damit erweist sich die Theologische Fakultät Paderborn als vermutlich jene Hochschule, an der die Caritaswissenschaft ihre erste Form der Institutionalisierung als Disziplin der Theologie erfuhr und von der offenkundig auch ein wichtiger Anstoß zu ihrer Etablierung an anderen Fakultäten ausging. Nicht zuletzt in dem Umstand, dass Liese von Lorenz Werthmann nach Freiburg „abgeworben“ worden ist und die Caritaswissenschaft in Paderborn damit einen wichtigen Protagonisten verlor, muss man wohl den Grund dafür sehen, dass sich die Spuren dieser jungen Disziplin in der Geschichte der Fakultät bald schon wieder verlieren.

Ab 1921 ist mit „Homiletik und Katechetik“ erstmals ein Lehrstuhl vermerkt, der aufgrund seiner Fachumschreibung als Ursprung des heutigen Lehrstuhls identifiziert werden kann. Als sein erster Inhaber wurde Joseph Brögger (1921-1935) berufen, der bereits ein Jahr vorher als Dozent für die gleichen Fächer fungierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm im Jahr 1946 Theoderich Kampmann (1946-1956) den Lehrstuhl, allerdings unter der neuen Umschreibung „Pädagogik und Katechetik“; dieser Titel stand auch schon über seiner einschlägigen Dozentur, die er seit 1935 ausübte. Insbesondere nach seinem Weggang nach München erlangte Kampmann Bekanntheit als Religionspädagoge, der maßgebliche Impulse z.B. für eine verstärkte Berücksichtigung der Bibel im Religionsunterricht setzte. Ihm folgte für die Zeit 1956-1965 als Lehrstuhlinhaber Rudolf Padberg. Dieser gehörte zu jenen Professoren, die 1965 von der hiesigen Hochschule an die neu gegründete Ruhr-Universität in Bochum „abberufen“ wurden, wodurch unsere Fakultät in nicht geringe personelle Verlegenheit kam.

Die damit eingetretene Situation führte dazu, dass in der „Ahnengalerie“ des Lehrstuhls für kurze Zeit eine Person auftritt, die später zu – bis heute anhaltender – Berühmtheit gelangte: der Religionspädagoge Hubertus Halbfas. Er hatte in den 1950er Jahren an der „Erzbischöflichen Philosophisch-Theologischen Akademie“ studiert, war ab 1957 Vikar in Brakel und wurde dann in München mit einer von Theoderich Kampmann betreuten Dissertation promoviert. Letztere, 1965 unter dem Titel „Jugend und Kirche“ erschienen, bildete den Auftakt im Reigen vieler beachteter und Aufsehen erregender Publikationen. Der frisch promovierte Religionspädagoge zog auch die Aufmerksamkeit von Kardinal Lorenz Jaeger auf sich. Der Erzbischof bat ihn, die mit dem Weggang Padbergs eingetretene Vakanz des Lehrstuhls durch Übernahme eines Lehrauftrags im Wintersemester 1965/66 auszugleichen. Halbfas vermerkt in seiner Autobiographie dazu, dass Kardinal Jaeger ihm in Aussicht gestellt habe, bei guter Erfüllung des Lehrauftrags könne daraus auch eine Professur werden. Demnach stand im Jahr 1965 Hubertus Halbfas als neuer Inhaber des Lehrstuhls auf den Plan. Diese Perspektive für die weitere Entwicklung des Lehrstuhls blieb jedoch Episode, zumal eine sehr kurze. Halbfas stieß nach seiner autobiographischen Darstellung vor allem auf zwei Widerstände: Er fühlte sich zum einen vom Professorenkollegium an der Fakultät nicht angenommen. Und die Studierenden reagierten mit Abwehrreflexen gegen manche seiner theologischen Positionen. Schon im März 1966, also unmittelbar nach Ableistung des einen Lehrauftrags im Wintersemester, beendete er von sich aus die Tätigkeit für unsere Hochschule.

Ohne im Nachhinein sagen zu können, was dafür den Ausschlag gab – die Wirren um die Tätigkeit von Hubertus Halbfas, das Bemühen um eine zeitgemäße Besetzung des Lehrstuhls oder gar der Eindruck des gerade zu Ende gegangenen „Pastoralkonzils“ –, kam es im Jahr 1966 zu einer erneuten Umbenennung des Lehrstuhls in „Pastoraltheologie und Homiletik/Kerygmatik“. Für die vier folgenden Jahre ist eigenartigerweise kein einschlägiger Professor vermerkt. Man muss vermuten, dass man sich in dieser Zeit noch mit personellen Übergangslösungen behalf. 1970 übernahm Paul Bormann den mit der neuen Bezeichnung wieder pastoraltheologisch prononcierten Lehrstuhl und hatte ihn bis zum Sommersemester 1991 inne. Die Flexibilität (bzw. Diffusität) in der inhaltlichen Konturierung des Lehrstuhls hielt offensichtlich auch zu dieser Zeit an. Bormann firmierte in manchen Vorlesungsverzeichnissen, abweichend von der genannten Lehrstuhlumschreibung, als „Professor für Pastoraltheologie und Kerygmatik“, hielt gleichwohl auch die Lehrveranstaltungen aus den Bereichen Religionspädagogik und Homiletik. Gleichzeitig tauchte in diesen Jahren auch die Caritaswissenschaft wieder im „Portfolio“ der Fakultät auf; über lange Zeit hinweg übte der damalige Vorsitzende des Paderborner Diözesancaritasverbandes, Joseph Becker, einen einschlägigen Lehrauftrag aus.

Eine wiederum neue, allerdings nur begrenzte Zeit anhaltende Konstellation des Lehrstuhls ergab sich 1992, als eine Professur „ad personam“ für „Religionspädagogik und Katechetik“ eingerichtet und mit Stefan Leimgruber besetzt worden ist. Gleichzeitig übernahm Erich Garhammer die Zuständigkeit für den Lehrstuhl unter dem inhaltlichen Titel „Pastoraltheologie und Homiletik“ und verlieh ihm eine homiletische Schwerpunktsetzung. Beendet wurde das Zwischenspiel einer eigenen Professur für Religionspädagogik und Katechetik durch den Weggang Leimgrubers nach München im Jahr 1998. Kurz darauf, im Jahr 2000, wechselte auch Garhammer nach Würzburg.

Nach einer Überbrückungszeit, in der die Lehranforderungen in den einzelnen Fächern mit wechselnden Lehraufträgen abgedeckt worden sind, stellte sich der jetzige inhaltliche Zuschnitt des Lehrstuhls ein. Inhaber des Lehrstuhls, nun unter der umfassenden Umschreibung „Pastoraltheologie, Homiletik, Religionspädagogik und Katechetik“, ist seit April 2002 Herbert Haslinger. Er sieht sein Anliegen in einer neuen pastoraltheologischen Profilierung des Lehrstuhls: Schwerpunkte bilden zum einen die klassischen pastoraltheologischen Traktate Sakramentenpastoral und Gemeinde, zum anderen die Grundlagen und das Selbstverständnis der Pastoraltheologie. Hinzu kommen eine besondere Gewichtung der Diakonie bzw. Caritas und die Arbeit an einer für die religionspädagogische Praxis tragfähigen Bildungstheorie. Das breite inhaltliche Spektrum des Lehrstuhls bedingt, dass das diesbezügliche Lehrdeputat nicht von einer Person abgedeckt werden kann. Folglich wird das Lehrangebot in den Fächern Religionspädagogik/Katechetik und Homiletik weitgehend über Lehraufträge bestritten.

Der Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung des Lehrstuhls wäre nicht vollständig, würde man folgende Gegebenheiten nicht benennen. Zum einen fällt auf, dass man offensichtlich über den gesamten Zeitraum hinweg keine klare, eindeutige und tragfähige Vorstellung über den inhaltlichen Zuschnitt dieses „praktischen“ Lehrstuhls gewonnen hat. Seine inhaltliche Umschreibung wechselte mit jeder Neubesetzung. Zum andern muss man ehrlicherweise das Fehlen eines eigenständigen Lehrstuhls für Religionspädagogik an unserer Fakultät als gravierendes Defizit vermerken. Dieses fällt ins Gewicht, nicht nur weil die Religionspädagogik eigentlich zum obligatorischen Lehrstuhlrepertoire an theologischen Fakultäten gehört, sondern auch weil die Tätigkeit in religionspädagogischen Feldern, insbesondere im Religionsunterricht höchste Anforderungen stellt. So gibt die auf den ersten Blick ehrenvolle Betrauung des Lehrstuhls mit mehreren praktisch-theologischen Fächern Anlass zu der Fra-ge, welche Sicht und Wertung der praktisch-theologischen Disziplinen sich dahinter verbirgt.