Balkanische Aussichten
Wir sitzen am Schwarzen Meer in Bulgarien bei einer Konferenz von Renovabis und der Adenauer-Stiftung zu Religion und Politik und Sozialethik in Südosteuropa. Mein Platz ist zwischen einer Professorin für Soziologie an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia und einer Journalistin einer Online-Wochenzeitung aus Serbien. Zunächst höre ich aus Belgrad: Früher gab es in Osteuropa offene totalitäre Diktaturen, heute gibt es vielfach „spin-dictatorship“, wörtlich: geistige Diktaturen, mit manipulierten und gelenkten Informationen für die Menschen außerhalb der politischen Kaste. Was müsste sich ändern? Die Antwort: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Überhaupt spielt das Wort Freiheit eine große Rolle, sowohl in den Berichten aus verschiedenen Ländern Osteuropas wie auch in den Diskussionen. Früher gab es kommunistische Diktaturen, heute ohne oligarchische oder plutokratische Diktaturen, also die mehr oder minder gut verschleierte Herrschaft des Reichtums und der Korruption. Ähnlich die Soziologin aus Bulgarien: Das große Übel sei die stetig wachsende Ungleichheit und der völlige Ausfall von Chancengleichheit und auch von Umverteilung der produzierten Gewinne. Kurz: Nicht das Gemeinwohl steht im Vordergrund, sondern das ungebremste Eigeninteresse. Und Parteien sind oft nur noch Lobby-Gruppen für private Interessen, dabei sollen sie doch politische Meinungsbildung ermöglichen, und zwar mithilfe von unterschiedlichen Programmen, immer auf dem Boden von Personalität und Solidarität.