Theologie und Glaube
Jahrgang 111
Ausgabe 2/2021
Mit Beiträgen von Tine Stein, Thomas Söding, Gregor Maria Hoff, Peter Platen, Norbert Köster, Bernhard Emunds, Rüdiger Althaus und Richard Hartmann.
Zu diesem Heft
Liebe Leserin, lieber Leser!
Keine Gemeinschaft kommt ohne Strukturen, ohne Leitung und letztlich nicht ohne Macht aus. Doch wer hat, wie legitimiert, was zu sagen? Sah man früher Herrscher von Gott dazu ermächtigt, ihre Untergebenen zu regieren, d. h. gleichsam von oben herab zu führen, so resultiert heute aus dem Bewusstsein der Menschenwürde – das jedem Menschen von Gott geschenkte An-Sehen – das Desiderat einer möglichst gleichberechtigten Einbeziehung in Entscheidungen, also demokratischer Strukturen.
Macht erscheint vielen Menschen als bedrohlich; sie assoziieren damit eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Macht und Machtmissbrauch liegen – auch aufgrund leidvoller Erfahrungen – im Bewusstsein oft eng nebeneinander, die Macht aktiv Führender scheint mit der Ohnmacht passiv Geführter zu korrespondieren, obgleich Macht auch ermöglicht, Schutz gewähren zu können.
Bedeutung kommt bei der Betrachtung von Macht dem (Selbst-)Verständnis derer zu, die diese, die Autorität haben, und der Art, wie sie diese ausüben. Der Begriffsinhalt von auctoritas schließt Urheberschaft, Einfluss und Machtvollkommenheit ein, aber auch Vorbild und Glaubwürdigkeit. Daher muss es um ein führendes Handeln gehen, das nicht allein formal Gehorsam verlangt, sondern durch innere Plausibilität und gelebtes Vorbild materielle Legitimation erfährt.
In der Kirche wird „Macht“ oft prinzipiell als mit dem Weihesakrament gegeben und als göttlichen Ursprungs qualifiziert. Fälle von Machtmissbrauch – insbesondere, aber nicht nur Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker – sowie autoritative Entscheidungen und Verhaltensweisen von Verantwortungsträgern, die die Gläubigen nicht nachvollziehen konnten, gaben in den letzten gut zehn Jahren berechtigten Anlass zu Kritik und begründet angemeldetem Reflexions- und Reformbedarf. Wenn in diesem Kontext oft schlagwortartig vom Klerikalismus die Rede ist, mag das historisch begründet sein, doch geht es um eine grundsätzliche Anfrage an die Amtsführung aller Führungskräfte in der Kirche (auch Laien) als Dienst am Volk Gottes und an das Auftreten aller Getauften, die an der Sendung der Kirche teilhaben.
Theologisch stellt sich die grundlegende Frage: Was bedeutet es für Amtsträger in der Kirche, wenn es von Jesus heißt, er habe nicht wie die Schriftgelehrten, sondern mit Vollmacht gelehrt (Mk 1,21)? Inwieweit kommt tatsächlich alle Macht in der Kirche unmittelbar von Gott? Muss nicht genau zwischen Weihe- und Jurisdiktionsgewalt – diese kam in der Geschichte auch jenen zu, die nicht das Weihesakrament empfangen, aber ein Kirchenamt innehatten – unterschieden werden? Wäre nicht klar zu differenzieren zwischen Angelegenheiten, die, unmittelbar dem Heil der Gläubigen dienend, dem Weihesakrament entspringen, und solchen, die administrativ-technischer Art sind? Und: Wie sieht es mit der Auswahl und Zurüstung von leitenden Mitarbeitenden aus, resultiert doch mancher Amtsmissbrauch nicht aus vorsätzlichem Handeln, sondern aus Überforderung?
Welche Bedeutung kommt schließlich dem sensus fidelium zu, sind Kleriker doch aufgrund des Weihesakramentes nicht über, sondern in das Volk Gottes eingesetzt? Kommt dem Glaubenssinn nur eine nachträglich rezeptive Funktion zu oder nicht doch eine prospektive, wegweisende? Inwiefern bedeutet die Stellung der Bischöfe eine Letztverantwortung im Hören auf das Wirken des Geistes? Bedürfen sie nicht einer sie in ihrem Dienst stützenden Entlastung? Dabei lassen sich aufgrund des Propriums der Kirche – das von Gott berufene und durch die Kraft des Heiligen Geistes geeinte und geordnete Volk Gottes – nicht unbesehen vereinsrechtliche Kategorien übertragen, doch bleibt nicht verwehrt, das Gute zu übernehmen.
Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken haben vor zwei Jahren den sogenannten Synodalen Weg beschritten. Eines der vier von diesem gebildeten Themen-Foren befasst sich mit „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“. In diesem Horizont möchten die Beiträge dieses Themenheftes Impulse zur Diskussion geben. Eine besondere Form der Ausübung von Macht stellt das Strafen dar. Daher seien in der Rubrik „Kurzbeiträge/Kommentare“ einige Streiflichter auf das am 2. Juni 2021 promulgierte neue Strafrecht des CIC geworfen.
Rüdiger Althaus